Chronik

Ernst Ortlepp ‒ der vergessene Dichter des Vormärz

1800‒1864

Ernst Ortlepp

1800 wurde Ernst Ortlepp am 1. August in Droyßig (bei Zeitz) als Sohn eines evangelischen Pfarrers geboren.

 

1806 übersiedelte die Familie nach Schkölen. Der Vater übernahm dort das Amt des Hauptpastors, das mit dem Titel eines Probstes verbunden war.

 

1812–1819 besuchte Ortlepp die Fürstenschule in Schulpforte, wo er die Organistenstelle zu versehen hatte. Abschluss „mit dem vorzüglichsten Zeugniß“.

 

1819–1824 Studium der Theologie und der Philosophie in Leipzig. Umgang mit bekannten Professoren, der sich auch nach einem Jahrzehnt noch fortsetzte; hier seien nur der einstmals sehr bekannte Philosoph Wilhelm Traugott Krug und der Altphilologe Johann Gottfried Jakob Hermann genannt. Es gibt Gründe für die Annahme einer Bekanntschaft mit Christian Dietrich Grabbe, aber sie ist nicht belegbar. Ortlepp „[...] ließ [...] so manche lyrische[n] und novellistische[n] Versuche drucken“. Abgang ohne Abschluss.

 

1825–1830 „privatisierte Ortlepp in dem abgeschiedenen Schkoelen bei seinem damals noch lebenden Vater, in die Lektüre alter und neuer Schriftsteller vertieft und sich besonders im dramatischen Fach versuchend.“ In diese Zeit fällt offensichtlich auch die in den „Belustigungen und Reisen eines Todten“ beschriebene Fußreise, die Ortlepp bis zum Rhein und Main führte.

1828 Gespräch mit Goethe in Dornburg über Wert und Möglichkeiten der Dichtkunst. Fast ein Jahrzehnt früher war Goethe Ortlepps Übersetzung der „Iphigenie“ ins Griechische überreicht worden. Eine weitere Begegnung ist nicht gesichert.

 

1830–1836 Rückkehr nach Leipzig. Ortlepp war – nach seiner Darstellung – „der Erste, der der politischen Poësie wieder Bahn brach“. Vor allem die sich an Schillers Lyrik orientierenden großen Gedichte, in denen biblische und kirchliche Gedenktage auf ihre möglichen Aussagen zu den aktuellen Strebungen hin – Julirevolution in Frankreich, Verfassungskämpfe in Sachsen, Polenaufstände – befragt wurden, sicherten Ortlepp die andauernde intensive Aufmerksamkeit der Zensur in Sachsen, Preußen und im Deutschen Bund. 1835 leitete Metternich persönlich die Verfolgung des großen Gedichts „Fieschi“ ein, die zu dessen Verbot führte.

Ortlepp arbeitete in Leipzig für verschiedene Zeitschriften, unter denen „Der Komet“ und die „Zeitung für die elegante Welt“ die für den Dichter wichtigsten waren. Hier schrieb Ortlepp auch Opern- und Konzertkritiken. Zu seinen Bekannten dieser Jahre zählten Carl Herloßsohn, Heinrich Laube, Ferdinand Stolle und Richard Wagner.

Als Ortlepp 1836 aus Leipzig ausgewiesen werden sollte, gab es Bemühungen seitens der Professorenschaft, ihm dieses Schicksal durch die Vermittlung eines Lehramts an der Universität zu ersparen. Diese Bemühungen hatten keinen Erfolg. Der Dichter musste Leipzig im November 1836 verlassen.

 

1837–1853 lebte Ortlepp in Württemberg, vor allem in Stuttgart. Über seine dortigen Lebensumstände und seinen Umgang ist bisher fast nichts bekannt. Wir wissen, dass ihn Herwegh in einer Rezension angriff und dass er mit Dingelstedt korrespondierte. Dass er an den geistigen Strebungen der Zeit regen Anteil nahm, erfahren wir aus Gedichten, die sich zu den Freiheitshoffnungen der Gutenberg-Feiern von 1840 bekannten oder sich gegen die Bemühungen der katholischen Kirche wandten, ihre durch Aufklärung, Reichsdeputationshauptschluß usw. verlorenen Positionen wiederzugewinnen (etwa durch die Präsentation des Heiligen Rocks in Trier 1844). Der Dichter begrüßte Strebungen unabhängiger Katholiken, sich von Rom abzugrenzen (Johannes Ronge und die Deutschkatholiken).

Die Ereignisse des Jahres 1848 belebten in Ortlepp noch einmal alte Hoffnungen. Mit seinem zyklischen Gedicht „Germania“, das er in diesem Jahr in Frankfurt herausbrachte, wollte er dem deutschen Volk das Nationalgedicht geben, das ihm seiner Ansicht nach fehlte. Ortlepp war wohl der Einzige unter den bekannteren deutschen Dichtern, der den Reichsverweser Erzherzog Johann ohne Ironie im Ton hoher Dichtung anredete. Das Buch stellt auch Texte für die politische Liturgie eines deutschen Staates vor, den man sich wohl als eine großdeutsche konstitutionelle Monarchie vorstellen muss; zu ihnen gehört der Text einer Nationalhymne.

Seinen Lebensunterhalt verdiente Ortlepp in diesen Jahren offenbar durch seine erstaunlich umfangreiche Tätigkeit als Übersetzer und Herausgeber. Hier seien – fast willkürlich – nur einige der Arbeiten genannt, die eine anhaltende Wirkung hatten. Eine Byron-Biographie, die Übersetzung aller lyrischen Gedichte Byrons, die heute noch benutzte Ausgabe der Werke Rabeners.

 

1853 wurde Ortlepp wegen seiner Mittellosigkeit aus Württemberg ausgewiesen.

 

1853–1864 kehrte er in seine Heimatlandschaft zurück. Als Wohnorte werden – ohne sichere Datierung – Schkölen, Camburg und vor allem Naumburg genannt.

 

1856 versuchte Ortlepp einen beruflichen Neuanfang, indem er in Halle das Philologenexamen ablegte, das die Voraussetzung für das Lehramt an den höheren Bildungsanstalten war. Zur Vorbereitung auf dieses Examen hielt sich Ortlepp bei seinem Bruder in Zahna auf. Er konnte keine dem Examen entsprechende Anstellung erlangen.

 

Für die Jahre 1858–1861 sind Maßnahmen der Justiz wegen seines nicht hinreichend seßhaften Lebenswandels und einiger – vielleicht unter Alkoholeinfluß begangener – Ordnungswidrigkeiten bezeugt; zu diesen Bestrafungen gehören zwei längere Aufenthalte in der Landeskorrektionsanstalt in Zeitz.

Ortlepps poetische Produktion ruhte in diesen Jahren nicht. Trotz der widrigen Lebensumstände konnte er zwei bibliographisch selbständige Gedichtsammlungen herausbringen; von anscheinend zahlreichen Einzelblattdrucken wurden bisher nur einige wenige gefunden. Mehr als vierzig Gelegenheitsgedichte zu Fest- und Gedenktagen veröffentlichte Ortlepp während dieser Jahre im „Naumburger Kreisblatt“; das letzte der Gedichte erschien wenige Wochen vor dem Tod des Dichters. Schließlich schuf der Dichter in der alten Tradition des Carmen casualis auch Gelegenheitsgedichte für private Auftraggeber.


Besonders eng war er in seinen letzten Jahren mit Schulpforte verbunden, unter dessen Lehrern und Schülern er Freunde fand. Zu den letzteren gehörte Friedrich Nietzsche, Abiturient des Jahres 1864, der sich in einem Brief zu Ortlepps Tod äußerte; der Text bekundet Interesse und Sympathie für den toten Dichter.

Ernst Ortlepp wurde am 14. Juni 1864 am Rande der Gemarkung Schulpfortes tot aufgefunden. Er stürzte in den Graben und „brach sich den Nacken,“ wie schon Friedrich Nietzsche seinem Freund Wilhelm Pinder in dem Brief vom 4. Juli 1864 mitteilte. Am 16. Juni 1864 begrub man ihn in Schulpforte.